Über meine Zeit in Brasilien und Portugal und das Portugiesische

Kategorie: Land und Kultur (Seite 2 von 4)

Lençois Maranhenses. In der Wüste Brasiliens

Nach einer Woche in Bra­si­li­en woll­ten ich und mein Besuch aus Mün­chen eigent­lich für zwei Wochen nach Peru. Flug war gebucht, die Pla­nung stand. Ein paar Tage vor geplan­tem Abflug fing es dort aller­dings zu reg­nen an. Und war der­ma­ßen stark, dass der Not­stand ver­hängt wur­de. Tote, kein Strom, unpas­sier­ba­re Stra­ßen und zer­stör­te Brü­cken hör­ten sich nicht danach an, als ob wir dort zwei Wochen ver­brin­gen woll­ten. Hel­fen kön­nen hät­ten wir ja doch nicht. Daher haben wir den Flug ver­fal­len las­sen und muss­ten über­le­gen, was wir mit den zwei Wochen jetzt anfan­gen würden.

Letzt­end­lich flo­gen wir nicht in die Anden, son­dern in den bra­si­lia­ni­schen Teil der Sahara.

Ja, das hört sich komisch an. Ist aber so. Dass Bra­si­li­en eine Wüs­te hat, ist in Euro­pa eher kein All­ge­mein­wis­sen. Die Len­çois Maran­hen­ses wären geo­lo­gisch aus Zei­ten Pan­gae­as Teil der heu­ti­gen Saha­ra in Afri­ka, sag­ten die Leu­te dort. Wenn man sich die Abbruch­kan­ten Afri­kas und Süd­ame­ri­kas anschaut, passt das auch genau.

(Len­çois Maran­hen­ses über­setzt: Maran­hãos Bett­la­ken [Maran­hão ist der Bun­des­staat Bra­si­li­ens, in dem die Wüs­te liegt]. Aus­spra­che: „Lens­zois“)

Im Gegen­satz zur „rechts­at­lan­ti­schen“ Saha­ra reg­net es in den Len­çois aller­dings sehr oft. Das führt zur Bil­dung unzäh­li­ger Lagunen.

Eine Lagu­ne. Am Ran­de der Wüs­te, noch mit Urwald im Hintergrund.

Lagu­nen, die im Win­ter (vor allem im Juli) eine Tie­fe von bis zu 7 Metern errei­chen kön­nen. Im März, am Ende der Tro­cken­zeit, waren die Lagu­nen zwar sehr flach, aber trotz­dem wun­der­schön anzu­se­hen. Und zum Baden natür­lich auch; den bei der Hit­ze fast direkt am Äqua­tor ver­bun­den mit sehr gerin­ger Was­ser­men­ge hat­ten wir über­all Badewannentemperatur.

Noch eine Langune.

Schon wie­der eine Lagune.

Genau­er gesagt besteht die Wüs­te aus Wan­der­dü­nen. Der Sand wird also vom Wind per­ma­nent hin- und her­ge­tra­gen und bil­det stän­dig neue Land­schaf­ten. Die Wüs­te sieht daher jedes Jahr etwas anders aus.

Zur Abwechs­lung zwei Lagu­nen auf einmal.

Über­rascht hat mich, was so alles in der Wüs­te wächst. Verz­ein­zelt sieht man etwas grü­ne Vege­ta­ti­on an Stel­len, an die sich etwas frucht­ba­rer Boden ver­irrt hat.

Wüs­te mit Mini-Vegetation. Und wahr­schein­lich auch Schlan­gen (nicht im Bild).

Zu sehr nähern soll­te man sich den grü­nen Stel­len aber nicht, wie uns Füh­rer sag­ten. Denn dort gäbe es oft Schlan­gen. Harm­los dage­gen, und nicht min­der inter­es­sant, fan­de ich die Pil­ze, die dort hin und wie­der zu sehen waren.

Wüs­ten­pil­ze. Naja, nicht wirk­lich. Sehen aus wie Cham­pingons. Hat aber kei­ner von uns geschmack­lich veri­fi­zie­ren wollen.

Die Land­schaft ist wun­der­schön und auf jeden­fall eine Rei­se wert. Aller­dings fand ich die­se Wüs­te nicht so „abwechs­lungs­reich“ wie die israe­li­sche Wüs­te, die Negev. Ein paar Tage dort zu ver­brin­gen, genügt. Denn auch wenn die Wüs­te etwa so groß wie São Pau­lo ist (~ dop­pel­te Flä­che Ber­lins, etwa hal­be Flä­che des Saar­lan­des): Sie ist nicht so abwechslungsreich.

Eine Lagu­ne mit zwei Dünen, die sich für’s Bild schön gemacht haben.

Es ist immer: Sand. Eine Düne. Mehr Sand. Sand. Oh, noch eine Düne. Bis zum Hori­zont. Und noch viii­iel weiter!

Aber es hat sich gelohnt. Viel­leicht kom­me ich hier irgend­wann noch­mal her. Dann aber im Juni oder Juli. Zum Tauchen.

Wo ich über­all bin. Jetzt statt­des­sen im Groß­raum­bü­ro sein, hach…

Ilha Grande. Weiße Strände, blaues Wasser, grüner Dschungel.

Nach zwei Tagen in Para­ty muss­ten Wag­ner und sei­ne Freun­de wie­der zurück nach São José dos Cam­pos. Ich fuhr dage­gen zusam­men mit mei­nem Besuch aus Mün­chen auf die Ilha Gran­de. Die gro­ße Insel.

Blick auf Vila do Abraão, der Haupt­ort der Insel.

Die Insel bestand vor 25 Jah­ren aus ein paar Häu­sern, in denen Fischer wohn­ten. Mit­te der 90er begann man mit der tou­ris­ti­schen Erschlie­ßung der Insel. Ich konn­te anfangs kaum glau­ben, dass fast alles maxi­mal 25 Jah­re alt sein soll. Aber in den (Sub-) Tro­pen bei hoher Luft­feuch­tig­keit altert wirk­lich alles sehr viel schneller.

Die Insel besteht heu­te aus dem Haupt­ort Abraão, und eini­gen auf der Insel ver­teil­ten Häu­sern (Unter­künf­te für Tou­ris­ten oder Häu­ser von Fischern). Moto­ri­sier­ter Ver­kehr ist ver­bo­ten, außer für staat­li­che Diens­te. Aber es gibt außer­halb von Abraão auch kei­ne Stra­ßen. Dafür durch­zieht die Insel ein Netz an Wanderwegen.

Dschungelwanderungen

Wobei.… der Begriff „Wan­der­weg“ hört sich hier eigent­lich zu zivi­li­siert an.  Oft­mals sind es nur klei­ne Pfa­de, die durch ver­schlun­ge­ne Pfa­de durch den unbe­rühr­ten Dschun­gel füh­ren. Mir war auch manch­mal nicht so wohl dabei, mich durch enge Pfa­de zu win­den, in dem Wis­sen, was hier so alles her­um­krab­belt und kriecht. Der ent­schei­den­te Ver­hal­tens­tipp ist hier­für übri­gens: Im Zwei­fel immer schnell wei­ter­ge­hen und nicht an dich­ten Stel­len län­ger ste­hen­blei­ben. Einen „Durch­blick“ über das, was gera­de in der Nähe ist, bekommt man mit sei­nen Augen und Ohren auf­grund der dich­ten Vege­ta­ti­on ja doch nicht.

Glück­li­cher­wei­se waren Affen die ein­zi­gen grö­ße­ren Tie­re, die uns begeg­net sind. Die schau­en immer mal kurz, ob man ihnen etwas gibt. Und wenn nicht, ver­schwin­den sie schnell wieder.

Unter­wegs wird man immer wie­der durch schö­ne Orte zum Ver­wei­len und Erfri­schen belohnt:

Cachoei­ra Da Feiticeira

Unzählige Strände

Mit Strän­den kann ich dage­gen ja nicht so viel anfan­gen. Ich fin­de sie lang­wei­lig. Ich bin nicht der Typ für das tage­lan­ge Her­um­lie­gen und Nichts­tun am Strand. Aber die Insel hat durch­aus schön anzu­se­hen­de Strän­de. Und für Strand­fans ist es wahr­schein­lich sogar eine Traum­in­sel. Fast 100 Strän­de soll es geben. Die meis­ten davon sind nur per Boots­ta­xi erreich­bar. (Lei­der habe ich von den Strän­den, die wir besucht haben, fast kei­ne Pho­tos gemacht; auf der Wikipedia-Seite gibt es mehr zu sehen.)

Strand Dois Rios

Endgegner: Sand

Lei­der hat­te die Insel auch eine nega­ti­ve Über­ra­schung für mich parat. Ich dach­te ja bei Gesund­heits­ri­si­ken eher an Schlan­gen­bis­se und Mos­ki­tos. Aber das, was mich dann doch tat­säch­lich zu einem Arzt getrie­ben hat, war: Sand.

Der Sand direkt vor Abraão ist stark ver­schmutzt. Zu vie­le Boo­te legen dort an und es gelangt dort etli­ches ins Was­ser, was da nicht rein gehört. Mit dem Ergeb­nis, dass direkt bei Abraão der Sand che­mi­sche Stof­fe ent­hält, die all­er­gi­sche Reak­tio­nen auf der Haut aus­lö­sen kön­nen. Nach eini­gen Tagen bin ich auf­ge­wacht und habe fest­ge­stellt, dass mei­ne bei­den Bei­ne groß­flä­chig rote Fle­cken haben.

Als ich das dem Besit­zer unse­res Hos­tels zeig­te, frag­te er sofort, ob ich hier direkt im Was­ser gewe­sen wäre. Hät­te er auch schon gehabt. Hm, ok, also ist das wenigs­tens ein bekann­tes Pro­blem. Der Apo­the­ker mein­te das auch, die Sekre­tä­rin im Gesund­heits­zen­trum auch und letzt­end­lich auch die Ärztin.

Die Ärz­tin hat mir auch gesagt, dass das hier stän­dig vor­kä­me und man eigent­lich nicht hier direkt am Ort ins Was­ser gehen soll­te. Auf mei­ne Fra­ge hin, war­um dann nicht an die­sen Stel­len Warn­schil­der auf­ge­stellt wür­den, sag­te sie, dass das eine gute Idee wäre. Aber das wür­de die Gemein­de nicht machen. War­um, wuss­te sie auch nicht. Ist hier halt so.

Das ist auch so etwas typi­sches für Bra­si­li­en: Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit. (Dar­über muss ich einen eige­nen Bei­trag schrei­ben.) Man lässt lie­ber täg­lich Tou­ris­ten medi­zi­nisch völ­lig ver­meid­bar behan­deln, anstatt ein paar Schil­der am Strand auf­zu­stel­len, dass man doch bit­te die 99 Strän­de der Insel ger­ne nut­zen kann, aber genau die­sen einen auf­grund der Wasser-/Sandverschmutzung lie­ber nicht. Ich bin so glück­lich über den funk­tio­nie­ren­den deut­schen Staat, der dort wahr­schein­lich bin­nen 24 Stun­den einen gan­zen Schil­der­wald auf­ge­stellt hät­te. Oder gleich einen Zaun.

Naja, Ende von der Geschich­te: 3x täg­lich eine ver­schrie­be­ne Sal­be drauf­schmie­ren, dann geht es nach einer Woche weg. Und so war es dann auch.

Paraty

Am Tag der Ankunft ging es erst­mal nach São José dos Cam­pos, wo mein Freund Wag­ner mit zwei sei­ner Freun­de schon war­te­te, um mich und mei­nen Besuch aus Mün­chen nach Para­ty mitzunehmen.

Para­ty ist eine gut erhal­te­ne Kolo­ni­al­stadt mit schö­ner, ein­heit­li­cher Archi­tek­tur. Rund her­um befin­den sich vie­le Insel mit hel­len Strän­den und sehr kla­rem Was­ser. Selbst unzäh­li­ge Fische hal­ten sich dort in unmit­tel­ba­rer Nähe zu vie­len Strän­den auf, wes­we­gen man beim Schwim­men fast nie „allei­ne“ ist. Wie ich expe­ri­men­tell fest­setel­len konn­te, befan­den sich aller­dings kei­ne Piran­has darunter.

Wag­ner beim Baden inmit­ten von unzäh­li­gen Fischen

Nach Ein­bruch der Dun­kel­heit beginnt die dezen­te Beleuch­tung, die Alt­stadt in sehr ange­neh­mes Licht zu tau­chen. Ich mag es ja sehr, wenn nicht jeder in der Archi­tek­tur macht, was er will, son­dern eine gewis­sen Ein­heit­lich­keit vor­han­den ist. Para­ty ist in die­ser Hin­sicht sehr ange­nehm; über­all fin­det man Unter­schie­de, aber der Gesamt­ein­druck ist einheitlich.

Para­ty am Abend

Eini­ge Bra­si­lia­ner haben gesagt, Para­ty sei das Vene­dig Bra­si­li­ens. Den die Stadt steht öfters unter Was­ser. Wenn sich das Meer mini­mal erhebt, strömt Was­ser durch alle Gas­sen und bedeckt die Stra­ßen. Die Fuß­gän­ger­we­ge aber nicht. Dann kann man die Stadt inmit­ten von Was­ser­stra­ßen erle­ben. Das haben wir die Tage, die wir da waren, nicht erlebt, aber das ist bestimmt auch schön anzusehen.

Zwei­ein­halb Tage waren wir da, danach ging es für Wag­ner und sei­ne Freun­de zurück nach São José dos Cam­pos, und ich mach­te mich mit mei­nem Besuch auf zur Gro­ßen Insel. Dar­über in Kür­ze mehr.

Absolventenfeier auf Brasilianisch

Eine Hoch­schul­aus­bil­dung ist in Bra­si­li­en nicht selbst­ver­ständ­lich. Der­zeit sind von den 204 Mili­o­nen Ein­woh­nern nur 2,8 Mil­lio­nen an staat­li­chen und pri­va­ten Uni­ver­si­tä­ten ein­ge­schrie­ben – ~1,3 Pro­zent der Bevöl­ke­rung. (In Deutsch­land: 2,8 Mil­lio­nen von 82 Mil­lio­nen – ~3,4 Prozent.)

Viel­leicht hat des­halb die Ver­ab­schie­dung von Hoch­schul­ab­sol­ven­ten hier einen ande­ren Stel­len­wert als in Deutsch­land. Am Wochen­en­de war ich auf der Bachelor-Graduationsfeier der Uni­ver­si­da­de Fede­ral de São Pau­lo (UNIFESP), auf der die Absol­ven­ten der Mathe­ma­tik, Mate­ri­al­wis­sen­schaf­ten, Com­pu­ta­tio­nal Engi­nee­ring und Bau­in­ge­nieu­re ver­ab­schie­det geehrt wur­den. Ver­ab­schie­dung ist hier nur teil­wei­se rich­tig, weil vie­le im Mas­ter wei­ter­ma­chen. Das hin­dert die Uni­ver­si­tä­ten aber nicht dar­an, auch den Bachelor-Abschluss der­ma­ßen zu fei­ern, dass ich vor lau­ter Stau­nen nicht mehr herauskam.

Ich beschrei­be im fol­gen­den den Ablauf der gut vier­stün­di­gen Ver­an­stal­tung. Anwe­send waren neben der Prä­si­den­tin der Uni­ver­si­tät der Dekan und alle Pro­fes­so­ren, in deren Fach­ge­biet es Absol­ven­ten gab.

Aber kom­men wir erst zum Vor­spiel: Vor der eigent­li­chen Ver­an­stal­tung stand für die Absol­ven­ten ihr Pho­to­ter­min an. Alle Absol­ven­ten beka­men einen Talar samt Dok­tor­hut (hier im Deut­schen ein unpas­sen­der Begriff; „Aka­de­mi­ker­hut“ trä­fe es bes­ser). Vor den Flag­gen wur­den dann von einem Pho­to­gra­phen Pho­tos gemacht. Erst allei­ne, dann auch je nach Wunsch mit Freun­den, Kom­mi­li­to­nen oder der Familie.

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Wäh­rend im Flur noch vie­le Pho­tos gemacht wur­de, gin­gen wir schon mal in den Hör­saal. Spe­zi­ell die­ser Hör­saal wird auch für Fei­ern ver­wen­det, was ich an der geho­be­nen Aus­stat­tung sofort bemerk­te. Man beach­te nur fol­gen­de „Bänke“/„Stühle“:

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Unglaub­lich bequem. Man könn­te direkt dar­in ein­schla­fen. Dazu kamen wir aber nicht, denn mit nur cum cum cum tem­po (also für bra­si­lia­ni­sche Ver­hält­nis­se pünkt­lich) begann der offi­zi­el­le Teil.

Mit dem Ein­lauf der Professoren.

Ja, Ein­lauf. Das kann man sich wie bei einer Show vor­stel­len. Zu Beginn sah es so aus:

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Nach einer kur­zen Begrü­ßung durch den Dekan rief er die Pro­fes­so­ren ein­zeln auf, die unter  Applaus wie Film­stars die Büh­ne betra­ten. Nach­dem alle Hel­den, äh, Pro­fes­so­ren, ihre Plät­ze ein­ge­nom­men hat­ten, ging es mit den Absol­ven­ten wei­ter, die bis­her noch drau­ßen war­ten muss­ten. Auch sie lie­fen unter Namens­nen­nung, nach Stu­di­en­gang sor­tiert, unter lau­tem Applaus ein und wur­den dabei noch­mal mehr­fach beim Ein­lauf pho­to­gra­phiert. Bei man­chen Absol­ven­ten ertön­ten sogar Vuvuz­elas von deren „Fan­club“ beim Einlauf.

Nach­dem anschlie­ßend alle im Hör­saal saßen, erho­ben sich alle, um die Natio­nal­hym­ne zu sin­gen. Und zwar rich­tig. Mit lau­ter Hin­ter­grund­mu­sik (man­gels Orches­ter). Mit Kraft. Mit Gefühl. Laut. Deut­lich. Wie im Sta­di­on. Ui.

Danach begann ein eher ruhi­ger Teil. Die Pro­fes­so­ren hiel­ten alle eine Rede, die teil­wei­se 15 Minu­ten dau­er­ten. Die Reden han­del­ten alle auch über Ver­ant­wor­tung und Ethik. Über die Ver­ant­wor­tung, die die Absol­ven­ten gegen­über der Gesell­schaft haben, die viel ihn sie „inves­tiert“ hat. Über die Ver­ant­wor­tung, ihr Wis­sen nur mora­lisch und ethisch im Ein­klang mit den Wer­ten der Gesell­schaft zu nut­zen. Über die Tech­nik, die kein Selbst­zweck ist son­dern dazu da ist, den Men­schen zu die­nen. Und nie dazu füh­ren darf, den Men­schen oder der Umwelt zu scha­den. Was für Reden!

Toll! Und es kam noch bes­ser: Den nach den Reden muss­ten alle Absol­ven­ten ihren Eid ableis­ten. Aber nicht alle den glei­chen: Für jeden Stu­di­en­gang wur­de satz­wei­se ein eige­ner Eid vor­ge­le­sen, den die Absol­ven­ten im Ste­hen und mit aus­ge­streck­tem rech­tem Arm nach­sa­gen mussten.

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Anschlie­ßend wur­den die Urkun­den ver­lie­hen. Die Stu­den­ten wur­den ein­zeln auf­ge­ru­fen und beka­men von ihrem jewei­li­gen Pro­fes­sor ihre Urkun­den. Und kuschel­ten miteinander.

Nun, das Wort ist viel­leicht doch etwas stark, aber passt hier trotz­dem. Die Bra­si­lia­ner sind ja für ihre „Kon­takt­freu­de“ bekannt, und auch hier umarm­ten sich immer wie­der alle gegen­sei­tig. Die zwei Pro­fes­so­rin­nen wur­den auch immer, wie es sich hier gehört, von ihren Studenten(-innen) „abge­küsst“. Und auch die Pro­fes­so­ren umarm­ten ihre Stu­den­ten, dass man mei­nen könn­te, hier hat der Vater sei­nen jahr­zehn­te­lang ver­lo­re­ren Sohn wiedergefunden.

(Ich ver­su­che es hier wirk­lich, nicht zu über­trei­ben. Die Umar­mun­gen dau­er­ten tat­säch­lich oft 5–10 Sekun­den und hat­ten sicht­bar viel „Kraft“. Aber ich beschrei­be das hier auch aus deut­scher Sicht. Aus bra­si­lia­ni­scher Sicht ist das über­haupt nicht erwäh­nens­wert, wie mir zwei Bra­si­lia­ner versicherten.)

Nach der Ver­lei­hung, wäh­rend­des­sen das Publi­kum die gan­ze Zeit kräf­ti­gen Applaus gab, wur­den wei­te­re Reden gehal­ten. Und zwar von jeweils einem Absol­ven­ten jedes Stu­di­en­gangs. Die­se Reden han­del­ten auch von der Ver­ant­wor­tung, aber auch von Dank­bar­keit und Lob für die Pro­fes­so­ren und die Universität.

Anschlie­ßend hielt die Prä­si­den­tin eine all­ge­mei­ne Rede. Danach bat der Dekan alle Eltern im Saal, auf­zu­ste­hen. Er hielt eine mehr­mi­nü­ti­ge Rede, in der er den Eltern für ihre Kin­der dank­te. Für die gute Erzie­hung. Für die Für­sor­ge. Wäh­rend die­ser Rede lief Film­mu­sik im Hin­ter­grund, wohl um die Bedeu­tung zu unter­strei­chen. Am Ende der Rede wur­de die Musik laut und es gab drei Minu­ten lang ste­hen­den Applaus von der Büh­ne und dem Hör­saal für die Helden=Eltern, von denen sich man­che in den Armen lagen und weinten.

Danach ging die Ver­an­stal­tung mit dem Hut­wurf der Absol­ven­ten und letz­ten Glück­wün­schen zu Ende.

Puh.

Ich wün­sche mir, die Ver­lei­hun­gen in Deutsch­land wür­den auch mehr in die­se Rich­tung gehen. Ich fand die gesam­te Ver­lei­hung groß­ar­tig und dem Anlass ange­mes­sen, nach vie­len Jah­ren har­ter geis­ti­ger Arbeit einen wür­di­gen Schluss­punkt zu set­zen. Selbst wenn es nur ein Zwi­schen­punkt sein soll­te, wenn man mit dem Mas­ter wei­ter­ma­chen soll­te. Dass alle Absol­ven­ten, nicht nur Medi­zi­ner und Juris­ten, einen Eid able­gen müs­sen, um zu schwö­ren, mit ihrem Wis­sen weder Mensch­heit noch Natur zu scha­den, fin­de ich sehr gut und wür­de das auch ger­ne in allen deut­schen Uni­ver­si­tä­ten sehen. Gut, Schwö­ren soll­te man dann viel­leicht nicht mit erho­be­nem rech­ten Arm, aber das sind Details.

Als Kon­trast zum Schluss noch kurz mein per­sön­li­ches Erleb­nis mit mei­ner Bachelor-Urkunde an der TU Darm­stadt. Es geschah an einem Vor­mit­tag. Ich lief im Flur ent­lang, als mich eine Sekre­tä­rin sah und ihr ein­fiel, dass im Sekre­ta­ri­at etwas für mich lag. Rein­ge­hen, Aus­weis vor­zei­gen, Map­pe neh­men, raus­ge­hen, fer­tig. Hm. Tja. Fertig.

Rück­bli­ckend fin­de ich das so deprimierend.

(Hin­weis: An der TU Darm­stadt gilt der Mas­ter als „Regel­ab­schluss“. Mit die­sem Hin­ter­ge­dan­ken macht man kei­ne Ver­ab­schie­dung für Bachelor-Absolventen. Das habe ich auch immer gewusst, aber aus heu­ti­ger Sicht fin­de ich das über­haupt nicht mehr gut.)

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