Über meine Zeit in Brasilien und Portugal und das Portugiesische

Autor: Andreas Marc Klingler (Seite 4 von 13)

Lissabon 2016

Anfang Novem­ber bis Mit­te Dezem­ber 2016 war ich plan­mä­ßig in Lis­sa­bon. Die Inten­ti­on war, dort wei­ter an mei­ner Master-Arbeit zu schrei­ben und wei­ter Por­tu­gie­sisch zu ler­nen. Lei­der hat bei­des nicht geklappt.

Bei mei­ner Master-Arbeit hat sich Mit­te Novem­ber bis Ende Novem­ber nach dem „rich­ti­gen“ Anfan­gen her­aus­ge­stellt, dass mein Betreu­er doch lie­ber in eine ande­re Rich­tung gehen woll­te. Bzw. den Schwer­punkt doch eher Rich­tung Data­Mi­ning / maschi­nel­les Ler­nen set­zen wür­de. Das hat mir mir aber dann nicht mehr gepasst; da ich zwar durch­aus auch Wis­sen in die­sen Berei­chen habe, aber dar­in mich nicht der­ma­ßen tief ver­gra­ben woll­te. Pech.

Das Problem für Portugiesisch-Lerner in Portugal: Englisch

Und Por­tu­gie­sisch… Nun ja, ich wur­de ja gewarnt, dass das por­tu­gie­si­sche Por­tu­gie­sisch etwas anders ist. Die „Hor­ror­ge­schich­ten“ von Bra­si­lia­nern konn­te ich jedoch nicht bestä­ti­gen. Ja, eini­ges ist anders, aber das war für mich fast nie ein Problem.

Was aber ein Pro­blem war: Por­tu­gie­sen kön­nen (eher) Eng­lisch. Jeden­falls im Raum Lis­sa­bon. Und es sind sehr, sehr vie­le Tou­ris­ten da. (Über­wie­gend Deut­sche natür­lich, neben­bei gesagt.) Und mit denen spre­chen sie Englisch.

Und das haben sie meis­tens auch mit mir gemacht. Und nicht nur mit mir, wie mir auch ande­re bestä­tigt haben. Hört ein Ein­hei­mi­scher, dass man kein Mut­ter­sprach­ler in Por­tu­gie­sisch ist, wird auf Eng­lisch gewech­selt. Ich habe den Ein­druck, teils unbe­wusst. Und hart­nä­ckig. Natür­lich wech­sel­te es meis­tens auch wie­der zurück, wenn ich hart­nä­ckig nur Por­tu­gie­sisch zu reden ver­su­che, aber das brach­te mich öfters aus dem Kon­zept, weil ich dann mit drei Spra­chen im Kopf jon­glie­ren musste.

Das hat mich immer stär­ker genervt. Ich weiß ja, dass sie es nur gut mei­nen. Aber ich kam mir nie so oft so blöd vor, da ich mich wohl nicht mal mehr mit den ein­fachs­ten Din­gen klar aus­drü­cken konn­te. Was in Bra­si­li­en (am Ende) abso­lut kein Pro­blem mehr war. Natür­lich dürf­te das in por­tu­gie­si­schen Dör­fern anders aus­se­hen; aber hey, das war in Bra­si­li­en nicht not­wen­dig und da möch­te ich halt auch nicht leben. Auch nicht zum Sprachenlernen.

Ein Pro­blem war natür­lich auch, dass ich erst­mal nur fünf Wochen dort war, was natür­lich sehr wenig Zeit ist. Ich habe auch nicht damit gerech­net, Freund­schaf­ten zu schlie­ßen, aber das es auch öfters bei Abends­ver­an­stal­tun­gen so kom­pli­ziert war, hät­te ich nicht gedacht.

Ich habe dann rea­li­siert, dass ich die Wochen zuvor eigent­lich am bes­ten mit mei­ner Pri­vat­leh­re­rin aus São Pau­lo gelernt habe, mit der ich wei­ter­hin Unter­richt via VoIP habe. Dann habe ich mich aber auch gefragt, war­um ich im Janu­ar bis Febru­ar, wie ursprüng­lich geplant, noch­mal nach Lis­sa­bon kom­men soll­te. Und es dann auch gelassen.

Lissabon ist eine Reise wert

Unab­hän­gig davon war es aller­dings sehr schön, Lis­sa­bon mal aus­führ­li­cher ken­nen zu ler­nen. Es ist eine sehr schö­ne Stadt. Sehr viel Was­ser und vie­le Hügel machen es land­schaft­lich sehr reiz­voll. Die erhal­te­ne Archi­tek­tur aus vie­len Jahr­hun­der­ten, ohne Bru­ta­lis­mus oder Glas-/Stahlverbrechen, ist wunderschön.

Lis­sa­bon kann aber auch sehr anstren­gend sein, denn die Stadt ist auf unzäh­li­gen Hügeln erbaut und mit­un­ter sind enor­me Stei­gun­gen in kur­zer Zeit zu über­win­den. Es gibt daher auch eine hand­voll „Steil­stra­ßen­bah­nen“ (die Ele­va­do­res), die jeweils nur eine Tal- und „Berg­sta­ti­on“ haben. Und senk­rech­te Auf­zü­ge an Stel­len, an denen man qua­si vor dut­zend Meter hohen Wän­den steht, auf denen Stra­ßen „oben“ weitergehen.

Man merkt schon: Bar­rie­re­frei ist das alles nicht. Ich habe mich öfter gefragt, wie Men­schen mit Geh­be­hin­de­run­gen da leben sol­len, bis mir auf­ge­fal­len ist, dass ich nie wel­che gese­hen habe. Da ist es dann auch egal, das an vie­len Stel­len die Hydran­ten mit­ten aus dem Bür­ger­steig raus­kom­men. Nicht an einer Sei­te, nein, wirk­lich mit­ten­drin! Das ist etwas, was mir nie­mand erklä­ren konn­te und über das sich aber auch nie­mand zu wun­dern geha­ben scheint.

Der Umgang mit den Men­schen war herz­lich, wenn auch nicht so sehr wie in Bra­si­li­en. Ich kann jetzt nach­voll­zie­hen, dass die Bra­si­lia­ner die Por­tu­gie­sen als eher kalt emp­fin­den; als Deut­scher muss ich das aber zurückweisen.

Kuli­na­risch gese­hen war es eine sehr lecke­re Zeit. Zwar habe ich wie­der oft zu Hau­se gekocht und konn­te nicht wie in Bra­si­i­en fast jeden Tag aus­wärts essen gehen, aber die stark auf Fisch und Mee­res­früch­te ori­en­tier­ten Spei­se­kar­ten konn­ten sich alle sehen lassen.

Und wer in Lis­sa­bon ist, soll­te unbe­dingt ins Ozea­ni­um gehen. Dar­in kann man einen gan­zen Tag in einer wun­der­ba­ren Unter­was­ser­welt „ver­sin­ken“. Einen gan­zen Tag soll­te man dafür auch min­des­tens ein­pla­nen Phan­tas­tisch. Allei­ne des­we­gen lohnt sich schon der gan­ze Flug.

Und zum Schluss noch eini­ge Impressionen.

 

Brasilien 1

Knapp 3 Mona­te Bra­si­li­en sind um. Was für eine phan­tas­ti­sche Zeit. Ich will wie­der zurück. Ich bin so beschäf­tigt gewe­sen, dass ich zu vie­lem gar nicht rich­tig gekom­men bin; unter ande­rem habe ich nicht so vie­le Blog-Artikel geschrie­ben, wie ich gewollt hätte.

Die Men­schen dort sind wun­der­bar. Die Offen­heit ist noch stär­ker aus­ge­prägt, als ich es in Spa­ni­en erlebt habe. Stän­di­ge Umar­mun­gen und Küss­chen, in Kom­bi­na­ti­on mit nur einer „Du“-Form für Bekann­te wie für Frem­de. Das macht im Umgang so viel aus. Mir ist auf­ge­fal­len, dass in Deutsch­land selbst das Hand­rei­chen aus der Mode zu kom­men scheint. (Oft reicht ja ein „Hal­lo“ mit einem Sicher­heits­ab­stand von 2 Metern zur Begrü­ßung aus. Seufz.)

Im Unter­schied zu Spa­ni­en haben die meis­ten Men­schen auch anders reagiert auf mein Por­tu­gie­sisch. Wäh­rend es in Spa­ni­en nie­man­dem komisch vor­kam, dass ich Spa­nisch lern­te, fan­den es in Bra­si­li­en vie­le Men­schen sicht­bar toll, dass ich ver­such­te, ihre Spra­che zu ler­nen. Ich wur­de sogar mehr­fach gefragt, war­um ich denn auf die Idee gekom­men bin, Por­tu­gie­sisch zu ler­nen. In Spa­ni­en wur­de ich das nie gefragt. Ange­merkt wur­de wohl auch des­we­gen, wie flüs­sig und gut ich Por­tu­gie­sisch sprä­che. Aber, nun ja, das hat sicher­lich auch kul­tu­rel­le Grün­de; als Deut­scher wür­de ich erst dann sagen, gut Por­tu­gie­sisch zu spre­chen, wenn ich einen Habi­ti­la­ti­ons­vor­trag in Agrar­phi­lo­so­phie flüs­sig hal­ten und ver­tei­di­gen könnte.

(Zu der Selbst­ein­schät­zung fällt mir immer fol­gen­des Bon­mot ein: Ein US-Amerikaner und ein Deut­scher wol­len Ele­fan­ten erfor­schen. Der US-Amerikaner recher­chiert im Netz, befragt eini­ge Bio­lo­gen und ver­öf­fent­licht sein Buch mit dem Titel: „Alles über Ele­fan­ten“. Der Deut­sche reist nach Afri­ka, stu­diert dort jah­re­lang das Ver­hal­ten gan­zer Her­den, nimmt an unzäh­li­gen Safa­ris und Kon­fe­ren­zen teil, bevor er nach vie­len Jah­ren end­lich ein Buch ver­öf­fent­licht mit dem Titel: „Ele­fan­ten – eine Einführung“.)

Bra­si­li­en hat mir auch wie­der vor Augen geführt, wohin es führt, wenn gro­ße Tei­le der Men­schen von Wohl­stand aus­ge­schlos­sen sind. Die Kri­mi­na­li­täts­ra­te ist ja über­all deut­lich höher, auch wenn ich per­sön­lich nichts davon mit­be­kom­men habe, wohl weil ich auch nur in „teu­re­ren“ Gegen­den gewohnt habe. So vie­le Obdach­lo­se und Bett­ler. So vie­le Sicher­heits­vor­keh­run­gen, die das gan­ze Leben bestimmen:

  • Hoch­häu­ser sind beliebt, weil man sie gut schüt­zen und sich Wach­leu­te tei­len kann.
  • Häu­ser haben 2–3 Meter hohe Zäu­ne, oft mit Sta­chel­draht und Elektrozaun.
  • Vie­le Schu­len haben Wach­tür­me und Video­über­wa­chung, von denen Innen­mi­nis­ter träu­men oder Lon­do­ner es gewohnt sind.
  • In Biblio­the­ken darf man Schließ­fä­cher nur nach Pass­kon­trol­len nutzen.
  • Für fast alle Schwimm­bä­der braucht man ein aktu­el­les ärzt­li­ches Attest. Damit man nicht lus­ti­ge Krank­hei­ten im Was­ser ver­brei­tet, gegen das Chlor wohl auch nicht mehr hilft.

Ich muss noch so viel mehr schrei­ben… Ich habe auch schon etli­che Blog-Artikel vor­be­rei­tet und hof­fe, die 2. und 3. Pha­se mehr zu schrei­ben. Ich wer­de daher auch von Por­tu­gal aus Bei­trä­ge über Bra­si­li­en ver­öf­fent­li­chen. Aktu­ell bin ich am Beginn mei­ner 2. Pha­se: 3 Mona­te Lis­sa­bon, mit einer 3‑wöchigen Unter­bre­chung ab Mit­te Dezem­ber. Die­se Zei­len schrei­be ich am Flug­ha­fen in Lis­sa­bon, wo ich mich immer noch über 30 Giga­byte LTE-Volumen für 30€ freue…

Den Beginn mei­ner Master-Arbeit, die ich Ende Sep­tem­ber / Anfang Okto­ber habe anfan­gen wol­len, habe ich auf Anfang Novem­ber (=jetzt) ver­scho­ben, haupt­säch­lich weil mein Betreu­er im Kon­fe­renz­stress war. (Das war mir aber auch nicht so unrecht, so hat­te ich mehr Zeit für die Por­tu­gie­si­sche Spra­che.) Aber damit geht es jetzt auch los, wir dis­ku­tie­ren noch ein­zel­ne Schwer­punk­te der Arbeit.

Nun dann. Hal­lo Lissabon.

tauben

Es gibt hier in vie­len grö­ße­ren Städ­ten Markt­hal­len. Dort gibt es alles. Bestimmt auch Tau­ben, ant­wor­te­te ich scher­zes­hal­ber. Obi­ges Foto stammt vom Mer­ca­do Cen­tral Belo Hori­onte.

klingler_20160911_4035Es ist hier expli­zit ver­bo­ten, Loka­len oder Geschäf­ten mit Kopf­be­de­ckung zu betre­ten. (Wahr­schein­lich, damit die Leu­te leich­ter iden­ti­fi­zier­bar sind auf Video­auf­nah­men. Kame­ras gibt es hier überall.)

Absolventenfeier auf Brasilianisch

Eine Hoch­schul­aus­bil­dung ist in Bra­si­li­en nicht selbst­ver­ständ­lich. Der­zeit sind von den 204 Mili­o­nen Ein­woh­nern nur 2,8 Mil­lio­nen an staat­li­chen und pri­va­ten Uni­ver­si­tä­ten ein­ge­schrie­ben – ~1,3 Pro­zent der Bevöl­ke­rung. (In Deutsch­land: 2,8 Mil­lio­nen von 82 Mil­lio­nen – ~3,4 Prozent.)

Viel­leicht hat des­halb die Ver­ab­schie­dung von Hoch­schul­ab­sol­ven­ten hier einen ande­ren Stel­len­wert als in Deutsch­land. Am Wochen­en­de war ich auf der Bachelor-Graduationsfeier der Uni­ver­si­da­de Fede­ral de São Pau­lo (UNIFESP), auf der die Absol­ven­ten der Mathe­ma­tik, Mate­ri­al­wis­sen­schaf­ten, Com­pu­ta­tio­nal Engi­nee­ring und Bau­in­ge­nieu­re ver­ab­schie­det geehrt wur­den. Ver­ab­schie­dung ist hier nur teil­wei­se rich­tig, weil vie­le im Mas­ter wei­ter­ma­chen. Das hin­dert die Uni­ver­si­tä­ten aber nicht dar­an, auch den Bachelor-Abschluss der­ma­ßen zu fei­ern, dass ich vor lau­ter Stau­nen nicht mehr herauskam.

Ich beschrei­be im fol­gen­den den Ablauf der gut vier­stün­di­gen Ver­an­stal­tung. Anwe­send waren neben der Prä­si­den­tin der Uni­ver­si­tät der Dekan und alle Pro­fes­so­ren, in deren Fach­ge­biet es Absol­ven­ten gab.

Aber kom­men wir erst zum Vor­spiel: Vor der eigent­li­chen Ver­an­stal­tung stand für die Absol­ven­ten ihr Pho­to­ter­min an. Alle Absol­ven­ten beka­men einen Talar samt Dok­tor­hut (hier im Deut­schen ein unpas­sen­der Begriff; „Aka­de­mi­ker­hut“ trä­fe es bes­ser). Vor den Flag­gen wur­den dann von einem Pho­to­gra­phen Pho­tos gemacht. Erst allei­ne, dann auch je nach Wunsch mit Freun­den, Kom­mi­li­to­nen oder der Familie.

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Wäh­rend im Flur noch vie­le Pho­tos gemacht wur­de, gin­gen wir schon mal in den Hör­saal. Spe­zi­ell die­ser Hör­saal wird auch für Fei­ern ver­wen­det, was ich an der geho­be­nen Aus­stat­tung sofort bemerk­te. Man beach­te nur fol­gen­de „Bänke“/„Stühle“:

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Unglaub­lich bequem. Man könn­te direkt dar­in ein­schla­fen. Dazu kamen wir aber nicht, denn mit nur cum cum cum tem­po (also für bra­si­lia­ni­sche Ver­hält­nis­se pünkt­lich) begann der offi­zi­el­le Teil.

Mit dem Ein­lauf der Professoren.

Ja, Ein­lauf. Das kann man sich wie bei einer Show vor­stel­len. Zu Beginn sah es so aus:

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Nach einer kur­zen Begrü­ßung durch den Dekan rief er die Pro­fes­so­ren ein­zeln auf, die unter  Applaus wie Film­stars die Büh­ne betra­ten. Nach­dem alle Hel­den, äh, Pro­fes­so­ren, ihre Plät­ze ein­ge­nom­men hat­ten, ging es mit den Absol­ven­ten wei­ter, die bis­her noch drau­ßen war­ten muss­ten. Auch sie lie­fen unter Namens­nen­nung, nach Stu­di­en­gang sor­tiert, unter lau­tem Applaus ein und wur­den dabei noch­mal mehr­fach beim Ein­lauf pho­to­gra­phiert. Bei man­chen Absol­ven­ten ertön­ten sogar Vuvuz­elas von deren „Fan­club“ beim Einlauf.

Nach­dem anschlie­ßend alle im Hör­saal saßen, erho­ben sich alle, um die Natio­nal­hym­ne zu sin­gen. Und zwar rich­tig. Mit lau­ter Hin­ter­grund­mu­sik (man­gels Orches­ter). Mit Kraft. Mit Gefühl. Laut. Deut­lich. Wie im Sta­di­on. Ui.

Danach begann ein eher ruhi­ger Teil. Die Pro­fes­so­ren hiel­ten alle eine Rede, die teil­wei­se 15 Minu­ten dau­er­ten. Die Reden han­del­ten alle auch über Ver­ant­wor­tung und Ethik. Über die Ver­ant­wor­tung, die die Absol­ven­ten gegen­über der Gesell­schaft haben, die viel ihn sie „inves­tiert“ hat. Über die Ver­ant­wor­tung, ihr Wis­sen nur mora­lisch und ethisch im Ein­klang mit den Wer­ten der Gesell­schaft zu nut­zen. Über die Tech­nik, die kein Selbst­zweck ist son­dern dazu da ist, den Men­schen zu die­nen. Und nie dazu füh­ren darf, den Men­schen oder der Umwelt zu scha­den. Was für Reden!

Toll! Und es kam noch bes­ser: Den nach den Reden muss­ten alle Absol­ven­ten ihren Eid ableis­ten. Aber nicht alle den glei­chen: Für jeden Stu­di­en­gang wur­de satz­wei­se ein eige­ner Eid vor­ge­le­sen, den die Absol­ven­ten im Ste­hen und mit aus­ge­streck­tem rech­tem Arm nach­sa­gen mussten.

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Anschlie­ßend wur­den die Urkun­den ver­lie­hen. Die Stu­den­ten wur­den ein­zeln auf­ge­ru­fen und beka­men von ihrem jewei­li­gen Pro­fes­sor ihre Urkun­den. Und kuschel­ten miteinander.

Nun, das Wort ist viel­leicht doch etwas stark, aber passt hier trotz­dem. Die Bra­si­lia­ner sind ja für ihre „Kon­takt­freu­de“ bekannt, und auch hier umarm­ten sich immer wie­der alle gegen­sei­tig. Die zwei Pro­fes­so­rin­nen wur­den auch immer, wie es sich hier gehört, von ihren Studenten(-innen) „abge­küsst“. Und auch die Pro­fes­so­ren umarm­ten ihre Stu­den­ten, dass man mei­nen könn­te, hier hat der Vater sei­nen jahr­zehn­te­lang ver­lo­re­ren Sohn wiedergefunden.

(Ich ver­su­che es hier wirk­lich, nicht zu über­trei­ben. Die Umar­mun­gen dau­er­ten tat­säch­lich oft 5–10 Sekun­den und hat­ten sicht­bar viel „Kraft“. Aber ich beschrei­be das hier auch aus deut­scher Sicht. Aus bra­si­lia­ni­scher Sicht ist das über­haupt nicht erwäh­nens­wert, wie mir zwei Bra­si­lia­ner versicherten.)

Nach der Ver­lei­hung, wäh­rend­des­sen das Publi­kum die gan­ze Zeit kräf­ti­gen Applaus gab, wur­den wei­te­re Reden gehal­ten. Und zwar von jeweils einem Absol­ven­ten jedes Stu­di­en­gangs. Die­se Reden han­del­ten auch von der Ver­ant­wor­tung, aber auch von Dank­bar­keit und Lob für die Pro­fes­so­ren und die Universität.

Anschlie­ßend hielt die Prä­si­den­tin eine all­ge­mei­ne Rede. Danach bat der Dekan alle Eltern im Saal, auf­zu­ste­hen. Er hielt eine mehr­mi­nü­ti­ge Rede, in der er den Eltern für ihre Kin­der dank­te. Für die gute Erzie­hung. Für die Für­sor­ge. Wäh­rend die­ser Rede lief Film­mu­sik im Hin­ter­grund, wohl um die Bedeu­tung zu unter­strei­chen. Am Ende der Rede wur­de die Musik laut und es gab drei Minu­ten lang ste­hen­den Applaus von der Büh­ne und dem Hör­saal für die Helden=Eltern, von denen sich man­che in den Armen lagen und weinten.

Danach ging die Ver­an­stal­tung mit dem Hut­wurf der Absol­ven­ten und letz­ten Glück­wün­schen zu Ende.

Puh.

Ich wün­sche mir, die Ver­lei­hun­gen in Deutsch­land wür­den auch mehr in die­se Rich­tung gehen. Ich fand die gesam­te Ver­lei­hung groß­ar­tig und dem Anlass ange­mes­sen, nach vie­len Jah­ren har­ter geis­ti­ger Arbeit einen wür­di­gen Schluss­punkt zu set­zen. Selbst wenn es nur ein Zwi­schen­punkt sein soll­te, wenn man mit dem Mas­ter wei­ter­ma­chen soll­te. Dass alle Absol­ven­ten, nicht nur Medi­zi­ner und Juris­ten, einen Eid able­gen müs­sen, um zu schwö­ren, mit ihrem Wis­sen weder Mensch­heit noch Natur zu scha­den, fin­de ich sehr gut und wür­de das auch ger­ne in allen deut­schen Uni­ver­si­tä­ten sehen. Gut, Schwö­ren soll­te man dann viel­leicht nicht mit erho­be­nem rech­ten Arm, aber das sind Details.

Als Kon­trast zum Schluss noch kurz mein per­sön­li­ches Erleb­nis mit mei­ner Bachelor-Urkunde an der TU Darm­stadt. Es geschah an einem Vor­mit­tag. Ich lief im Flur ent­lang, als mich eine Sekre­tä­rin sah und ihr ein­fiel, dass im Sekre­ta­ri­at etwas für mich lag. Rein­ge­hen, Aus­weis vor­zei­gen, Map­pe neh­men, raus­ge­hen, fer­tig. Hm. Tja. Fertig.

Rück­bli­ckend fin­de ich das so deprimierend.

(Hin­weis: An der TU Darm­stadt gilt der Mas­ter als „Regel­ab­schluss“. Mit die­sem Hin­ter­ge­dan­ken macht man kei­ne Ver­ab­schie­dung für Bachelor-Absolventen. Das habe ich auch immer gewusst, aber aus heu­ti­ger Sicht fin­de ich das über­haupt nicht mehr gut.)

Campos do Jordão: Fachwerk und Badenwurst

Ver­gan­ge­nes Wochen­en­de besuch­te ich mit Freun­den Cam­pos do Jor­dão. Eine klei­ne Stadt „in den Ber­gen“ im Nor­den des Bun­des­staa­tes São Pau­lo.  Die Stadt liegt auf der höchs­ten Erhe­bung des Umlan­des und ragt mit 2000 Metern über dem Mee­res­spie­gel deut­lich über der rest­li­chen Land­schaft hin­aus, die im Mit­tel gut 800 Meter hoch liegt. Die­se Gegend wird auch als Bra­si­lia­ni­scher Schweiz bezeich­net. Obwohl ich dort nur deut­sche Flag­gen gese­hen habe. Und Fach­werk­häu­ser. (Jeden­falls wel­che, die danach aussehen.)

Schon das Betre­ten der Stadt zeigt, das hier eini­ges anders ist. Nor­ma­ler­wei­se haben die Orte hier wie in Deutsch­land Orts­schil­der. Cam­pos do Jor­dão hat statt­des­sen für das Orts­schild ein gan­zes Haus über die Ein­gangs­stra­ße gebaut:

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